Mobilität braucht Kompetenzen

60 Jahre Kuratorium für Verkehrssicherheit: KfV-Direktor Othmar Thann über den Wandel in der Verkehrserziehung und die Rolle des KfV in der Schule.

Zur Person

Dr. Othmar Thann ist seit 1998 Direktor des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Der Jurist bekleidete zuvor die Funktion eines Sektionsleiter-Stellvertreters und Leiters der Gruppe II/B (Straßenverkehr) im Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr.

Am 24. April 1959 wurde das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) als gemeinnütziger Verein gegründet. Seither leistet es Pionierarbeit in der Verkehrs- und Fahrzeugtechnik, in der Verkehrspsychologie und in der Verkehrserziehung. Unfälle werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert und erforscht und das KfV positioniert sich als Experte in der Unfallvermeidung. 60 Jahre nach seiner Gründung ist das KfV eine moderne Präventionsinstitution. Wie geht es weiter? Dazu befragen wir KfV-Direktor Dr. Othmar Thann.

netzwerk-verkehrserziehung: Das KfV feiert heuer sein 60. Jubiläum. Welche Gründungsmotive haben im Jahr 1959 dazu geführt, das KfV ins Leben zu rufen?
Dr. Othmar Thann: Die Gründung des KfV fiel in eine Zeit, in der die Österreicherinnen und Österreicher nicht unbedingt etwas von den Gefahren des Straßenverkehrs hören wollten. Nach den harten Jahren des Wiederaufbaus kam der Wirtschaftsaufschwung und mit ihm schwoll die Motorisierungswelle an. Mehr als 2.000 Tote forderte der Straßenverkehr im Jahr 1959, dem Gründungsjahr des KfV – eine menschliche wie volkswirtschaftliche Katastrophe. Ziel des neugegründeten Kuratoriums für Verkehrssicherheit war damals, die Zahl dieser Unfälle nachhaltig zu senken – dabei setzte man von Beginn an auf praxisorientierte, aber zugleich wissenschaftlich fundierte Maßnahmen. Dieser Ansatz machte das KfV bald national wie international zu einem gefragten Partner in Verkehrssicherheitsfragen. Heute verfolgen wir einen gesamtheitlichen Ansatz – im Mittelpunkt unserer Arbeit steht die körperliche und die sachliche Unversehrtheit des Menschen. Die Tätigkeitsbereiche des KfV umfassen daher neben der Unfallprävention im Straßenverkehr auch die Bereiche Haushalt-, Freizeit- und Sportprävention sowie Eigentumsschutz.

In den vergangenen sechs Jahrzehnten haben Erkenntnisse der Sicherheitsforschung wesentliche Beiträge zum Schutz der Verkehrsteilnehmer/innen auf Österreichs Straßen geleistet. Was waren die wesentlichsten Meilensteine der vergangenen Jahrzehnte?
Zu den Meilensteinen der vergangenen Jahrzehnte zählen neben Tempo- und Alkohollimits, Gurt- und Helmpflicht auch Führerscheinmaßnahmen sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen für künftige Entwicklungen im Bereich des automatisierten Fahrens. Wesentlich ist aber nicht nur, was wir beigetragen haben, sondern vor allem, was wir künftig beitragen können. In so mancher Hinsicht steht die Verkehrssicherheitsarbeit heute wieder an ihren Anfängen, denn das autonome Fahren wirft zahlreiche grundlegende Fragen auf: nach dem Teilen der Verantwortung zwischen Mensch und Maschine, nach der Zukunft  der Fahrausbildung, nach rechtlichen Rahmenbedingungen und dem Miteinander von selbstfahrenden und konventionellen Fahrzeugen. Wir müssen uns fragen, welche Weichen schon heute gestellt werden müssen, damit alle Sicherheitspotenziale voll ausgeschöpft werden können.

Dank systematischer Bestrebungen um mehr Sicherheit wurden in den letzten Jahrzehnten bereits enorme Fortschritte erreicht. Wird der Handlungsbedarf dadurch geringer?
Ich denke man kann zu Recht behaupten: das Leben in Österreich ist heute so sicher wie nie zuvor. Dennoch: Stellt man die Sicherheit des Individuums in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit, wird der Handlungsbedarf nicht geringer: Etwa 800.000 Unfälle ereignen sich jährlich in Österreich, alle 3,5 Stunden stirbt ein Mensch an den Folgen eines Unfalls. Neben Unfallrisiken stellen Brände, alte und neue Kriminalitätsformen sowie Elementarereignisse oft unterschätzte Risiken für den Menschen dar und verursachen Schäden in Milliardenhöhe. Der Handlungsbedarf verändert sich somit, ist aber nach wie vor hoch. Das KfV beschäftigt sich mit der Frage, mittels welcher präventiver Maßnahmen die Menschen in Österreich sich und ihr Eigentum vor den Folgen schützen können. Sicherheit ist und bleibt eines der höchsten Güter und das wichtigste Grundbedürfnis, das Menschen haben.

War Verkehrserziehung von Anfang an ein Thema für das KfV und was waren die ersten Schritte in diese Richtung?
Zu den drei großen Themenschwerpunkten des neu gegründeten Kuratoriums zählte neben Verkehrstechnik und Verkehrspsychologie auch die Verkehrserziehung. Für den Schulunterricht entwickelten die Verkehrserzieher des KfV Lehrerseminare und didaktische Mittel wie Brett- und Puppenspiele sowie Lehrbücher und die sieben Jahre lang erscheinende Zeitschrift „Schule und Verkehrserziehung“, monatliche kostenlose Arbeitsblätter, Wandtafeln, Filme und Dia-Serien. Mit den „Verkehrserziehungs-Autobussen“ tourte das KfV durch die Bundesländer, wo Gendarmeriebeamtinnen und -beamte Vorträge vor Schülerinnen und Schülern sowie Interessierten hielten. In Form von Wettbewerben für Berufskraftfahrer/innen, Schulungen für Seniorinnen und Senioren und „Verkehrssünder/innen“ wurde auch Verkehrserziehung für Erwachsene betrieben.

Wie schätzen Sie die Erforderlichkeit und Bedeutung der Mobilitätsbildung heutzutage ein? Was hat sich hier in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Die wohl größte Veränderung liegt in einer veränderten Herangehensweise: Früher wurde versucht, die Kinder dazu zu erziehen, sich an das Verkehrsgeschehen anzupassen. Moderne Mobilitätserziehung und -bildung hingegen vermittelt nicht nur Regeln, sondern fördert außerdem die Bildung jener Kompetenzen, die nötig sind, um zu einem/r selbstständigen und sicheren Verkehrsteilnehmer/in zu werden. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Terminologie wieder – heute sprechen wir nicht mehr von Verkehrserziehung, sondern von Mobilitätsbildung. Diese endet auch keineswegs mit der 4. Schulstufe, denn auch im Jugend- und Erwachsenenalter gilt es, sich laufend neue Kompetenzen anzueignen, um sicher im Straßenverkehr unterwegs zu sein. Die Tendenz geht also auch bei der Mobilitätsbildung in Richtung lebenslanges Lernen.

Lässt sich eine Prognose treffen, wie die Zukunft der Mobilitätsbildung aussehen wird?
Neue Mobilitätsformen werden nach neuen Kompetenzen verlangen. Entwicklungen wie die Digitalisierung aller Lebensbereiche bringen neue Chancen mit sich: sie ermöglichen die optimale Planung von Wegeketten, unterstützen in Form von Assistenzsystemen. Gleichzeitig konfrontieren sie die Nutzer/innen aber auch mit neuen Gefahren – beispielsweise Datenschutz und Ablenkung, um nur zwei Beispiele zu nennen. Zudem werden die Verflechtungen zwischen den Bereichen Mobilität, Nachhaltigkeit und Gesundheit weiter zunehmen. Tägliche Wege werden mehr und mehr als Möglichkeit begriffen, um den im Alltag herrschenden Bewegungsmangel auszugleichen. Wer zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs ist, kann gleichzeitig etwas für seine Gesundheit und die Umwelt tun. Hier sind Veränderungen im lokalen Verkehrssystem zu erwarten – und mit ihnen auch Veränderungen in der Mobilitätsbildung.

Welche Angebote und Aktivitäten des KfV gibt es für und in Schulen?
Es ist von großer Bedeutung, Heranwachsende in ihrer Entwicklung zu verantwortungsbewussten und sicheren Verkehrsteilnehmer/innen bestmöglich zu unterstützen. Das KfV plant und organisiert spezielle Aktionen für jede Alters- und Verkehrsteilnehmergruppe. Alleine im Jahr 2018 wurden mehr als 1.200 Aktionen mit über 30.000 Teilnehmer/innen durchgeführt. Speziell für Kindergärten und Schulen gibt es Aktionen zu den Schwerpunkten Kindersitz, Sicherheit im Auto, Sichtbarkeit im Straßenverkehr, Geschwindigkeit und Schulbusnutzung. Die Aktionen sind flexibel und können an die jeweiligen Bedürfnisse maßgeschneidert angepasst werden. Darüber hinaus wurde in Kooperation mit dem BMBWF „Mit Risi & Ko unterwegs“ entwickelt – Unterrichtsmaterialien zur Mobilitätsbildung speziell für die Zielgruppe der 10- bis 14-Jährigen. Da diese sehr gut angenommen werden, planen wir das Konzept zukünftig auch auf die Volksschule auszuweiten und entsprechende Lehrmaterialien zur Verfügung zu stellen.

Das KfV tourt heuer durch alle Landeshauptstädte. Was erwartet die Besucher/innen?
Unter dem Motto „Sicher Leben“ wird den Besucher/innen der KfV-Sicherheits-Tour ein umfangreiches Rahmenprogramm zu verschiedensten Themenbereichen der Prävention geboten. Neben einer Zeitreise durch sechs Jahrzehnte Sicherheitsarbeit laden Mitmachstationen und Demonstrationen dazu ein, aktiv in die Welt der Sicherheitsforschung einzutauchen. Gemeinsam mit Expert/innen können Interessierte hautnah erleben, wie Sicherheitsgurte beim Aufprall Leben retten können, wie viele Meter im Blindflug man mit dem Auto bei Ablenkung zurücklegt, welche Chance aber auch Risiken neue Technologien im Haushalt mit sich bringen und wie neue Mobilitätsformen unseren Alltag verändern werden. Natürlich ist auch Sicherheitsexperte HELMI mit auf Tour und freut sich, Klein und Groß beim Meet & Greet begrüßen zu dürfen.

Zur Person

Dr. Othmar Thann ist seit 1998 Direktor des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Der Jurist bekleidete zuvor die Funktion eines Sektionsleiter-Stellvertreters und Leiters der Gruppe II/B (Straßenverkehr) im Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr.