Vom Einbaum bis zur Formel-E!

Im Technischen Museum Wien lassen sich Jung und Alt von der Dauerausstellung „Mobilität“ und der dazugehörigen Mitmach-Ausstellung „In Bewegung“ begeistern. Was es für die jungen Besucher*innen zu entdecken gibt, weiß Franziska Mühlbacher.

Zur Person

Mag. Franziska Mühlbacher ist als Leiterin der Wissensvermittlung im Technischen Museum Wien tätig.

Frau Mühlbacher, wie würden Sie einer jungen Museumsbesucherin bzw. einem jungen Museumsbesucher den Begriff „Mobilität“ erklären?
Franziska Mühlbacher: Bei dem Begriff Mobilität geht es darum, wie sich Menschen und Güter im geografischen Raum bewegen. Das betrifft alle Verkehrsteilnehmer/innen, egal ob auf der Schiene oder am Fahrrad, im Auto, das Kind im Kinderwagen oder jemand, der oder die im Rollstuhl unterwegs ist. Dabei spielen auch die jeweils individuellen, persönlichen Erfahrungen eine große Rolle. Auch die weiten Transportwege von der Produktion bis zum Verkauf von T-Shirts sind der „Mobilität“ zuzuordnen.

Welche Aspekte der Mobilität lassen sich im Technischen Museum Wien erleben?
Es geht nicht nur um die Fahrzeuge – das beinhaltet ja grob gesehen alles vom Einbaum bis hin zur Rakete –, sondern auch um die gesellschaftlichen Auswirkungen. Ein Beispiel dafür ist die Bahnhofsuhr. Um für den Zugsverkehr Fahrpläne zu erstellen, mussten die Uhren an allen Bahnhöfen synchron eingestellt werden. Das ist heute selbstverständlich, wurde aber erst durch die Bahn notwendig. Davor haben lokale Ortszeiten ausgereicht, die nach dem jeweiligen Sonnenstand ausgerichtet waren. Neben Zeit ist auch Raum ein Thema. Besonders in Städten ist Mobilität eine Platzfrage – wie viel öffentliche Fläche soll für die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmenden zur Verfügung stehen? Das Radfahren war früher weit verbreitet, ab der Zwischenkriegszeit wurde es aber als „überholte“, weil muskelbetriebene Technik angesehen. So wurden Fahrräder in der Verkehrsregelung an den Straßenrand verbannt, dem Automobil wurde das Zentrum der Straße und des Straßenbaus zugesprochen. Mit dem hohen Aufkommen von E-Scootern, die auch über Sharing-Angebote mittels App genutzt werden können, stellt sich diese Verteilungsfrage auch derzeit wieder aufs Neue. Letztlich ist es nicht nur eine verkehrspolitische Frage, wie wir Mobilität sicher und effizient organisieren, sondern auch eine gesellschaftspolitische. Besonders im urbanen Raum, wo Platz eine begrenzte Ressource ist, müssen wir abwägen, wie viel Fläche wir dem Auto, dem Rad oder E-Scooter, Fußgänger/innen oder öffentlichen Verkehrsmitteln widmen. Derzeit beansprucht klar der Autoverkehr die meiste Fläche für sich, und das nicht nur im fließenden Verkehr, sondern auch im ruhenden Verkehr – also dem Parken.

Wurde jedes neue Verkehrsmittel von den Menschen mit Begeisterung aufgenommen?
Nein, viele technische Innovationen mussten erst von den Menschen akzeptiert werden. Bei einer der ersten Ballonfahrten der Brüder Montgolfier war man sehr skeptisch. Als Passagiere wurden zuerst Tiere im Ballonkorb hinaufgeschickt, weil man nicht wusste, was mit den Menschen passieren würde. Auch beim Auto gab es zahlreiche Skeptiker/innen. Die Angst vor dem Neuen kommt in der Technik immer wieder vor – nicht nur unter dem Aspekt der Sicherheit. Denn technische Innovationen sind auch wichtige Triebfedern für gesellschaftlichen Wandeln, was – neben wünschenswerten Entwicklungen – natürlich auch soziale und ökologische Ängste auslösen kann. Das beobachten wir ja auch gerade bei der Thematik der selbstfahrenden Autos wieder, in der aktuellen Ausstellung „Künstliche Intelligenz?“, ist dem autonomen Fahren auch ein eigener Bereich gewidmet. Im Technischen Museum Wien können wir diese historischen Perspektiven bieten und sie helfen dabei, die heutige Mobilität besser zu verstehen und Technikskepsis fundiert zu reflektieren.

Viele junge Besucher/innen sind von großen, alten Ausstellungsstücken wie alten Lokomotiven begeistert ...
Genau, die Bewusstseinsbildung fängt oft mit den großen Maschinen an, die für viele junge Besucher/innen interessant sind. Die Dampflok 12.10 aus dem Jahr 1936 zum Beispiel ist die größte, stärkste, schnellste Dampflokomotive, die je in Österreich gebaut wurde und eine beeindruckend anzusehender Stahlkoloss. Mit einer interaktiven Videoinstallation im Maßstab 1:1 erwecken wir sie zum Leben und geben einen Blick ins Innere der Lok. Aber wir erkunden auch, wie die Dampflok aus den 1930er-Jahren im CO2-Vergleich mit einem heutigen Flugzeug abschneidet (tatsächlich hatte sie auf der Strecke Wien-Salzburg einen geringeren CO2-Ausstoß pro Kopf) oder wie ähnlich sich damalige und heutige Diskussionen rund um die Energiewende sind. Das hebt das Thema dann auf eine weitere Ebene und diese Verknüpfung mit aktuellen Fragestellungen funktioniert bei sehr vielen unserer Objekte.

Welche Ausstellungsstücke faszinieren junge Besucher/innen besonders?
Es kommt auf das Alter an, aber der Rettungshubschrauber und generell Flugobjekte interessieren Kinder sehr. Wir haben sehr viele Hands-on-Stationen, bei denen man selbst etwas aktiv ausprobieren kann. Diese Interaktion ist für die Wissensvermittlung extrem wichtig: Was passiert, wenn ich einen Knopf drücke oder etwas bewege? Man kann zum Beispiel aktiv erleben, welche Auswirkung die Drehung der Rotorblätter auf das Flugverhalten eines Hubschraubers hat. Bei einer unserer beliebtesten Führungen basteln Kinder einen Propeller und lassen ihn vom vierten Stock in die Halle schweben, um die Rotorbewegung nachvollziehen zu können. Das macht auch Spaß! Und wenn etwas Spaß macht, ist man zugänglicher für neues Wissen.

Welche Fragen werden von den jungen Besucher/innen immer wieder gestellt?
Ein Objekt, das unweigerlich die Aufmerksamkeit fesselt, ist unser Mercedes „Silberpfeil“, ein berühmter Rennwagen aus den 1950er-Jahren. Ein wirklich schickes Auto – und die Kinder wollen fast immer wissen, wie schnell es fährt. Sie staunen nicht schlecht, wenn sie erfahren, dass dieses alte Auto bereits um die 300 km/h schnell war! Auch das Gewicht unserer größten Objekte – wie der Dampfloks – ist immer wieder ein Thema. Das Spannendste jedoch ist, dass Kinder uns mit ihren Fragen und ihren gedanklichen Verknüpfungen immer wieder überraschen und uns auch selbst zum Nachdenken bringen.

Was ist Ihr Lieblings-Ausstellungsstück zum Thema Mobilität?
Mich fasziniert die Schnittlok, eine Lokomotive, die für das Museum extra auseinandergeschnitten wurde. Es zeigt nicht die Lokomotive, wie man sie auf den Schienen sehen würde, sondern gibt Einblick in ihr Innenleben. Die Räder können in Bewegung gesetzt werden und die Kulturvermittler/innen können in den Führerstand steigen, um die Arbeitsbedingungen von Lokführer/in und Heizer/in zu erklären. Bei den Besucher/innen gibt es einen Aha-Effekt, wenn sie sehen können, wie der Antrieb in allen Einzelheiten funktioniert und es gibt davor eine Art Begegnungszone, um mit den Kulturvermittler/innen oder anderen Besucher/innen ins Gespräch zu kommen.

Welche modernen Ausstellungsstücke aus der Lebenswelt der Kinder gibt es zu entdecken?
Wir haben ca. 14.500 Objekte in der Sammlung Mobilität – viele davon sind historische Objekte und mittlerweile nicht mehr verbreitet, aber wir haben auch zahlreiche aktuelle Ausstellungsstücke – vom klassischem Fahrrad über Inline-Skates bis hin zu Longboards und Micro-Scooter oder E-Bike. Im Ausstellungteil „In Bewegung“ können Besucher/innen mit eindrucksvoller Virtual-Reality-Erfahrung und innovativer Robotertechnologie auch uns unbekannte Aspekte der Mobilität entdecken und mit Birdly wie ein Vogel durch die Lüfte schweben und dabei in einem bewegenden Ganzkörpererlebnis Städte, Unterwasserwelten und das Zeitalter der Dinosaurier erkunden!

Apropos E-Mobilität: Die ist gar nicht so neu, wie vielleicht viele denken ...
Genau, wir haben im Technischen Museum einen Lohner-Porsche, der um 1900 entwickelt wurde. Er sieht aus wie eine Kutsche, hat aber Elektromotoren eingebaut. Damals war die Entwicklung von Elektro- und Benzinmotor gleichauf, dann hat sich der Benzinmotor aber durchgesetzt. Das lag einerseits natürlich an der Reichweite. Der Aktionsradius bei der maximalen Geschwindigkeit von 35 km/h wurde mit 50 Kilometern in der Ebene angegeben – damit wurde der schicke Lohner-Porsche eher für Stadtrundfahrten auf der Promenade genutzt, wo es um Sehen und Gesehenwerden ging, war aber weniger geeignet für Ausflüge aufs Land. Im Vergleich zum effizienten, ruhigen und elegantem Vorankommen im Elektroauto versprachen benzinangetriebene Autos mit der höheren Reichweite und dem leichteren „Aufladen“ auch mehr Abenteuer – raus aus der Stadt und mit laut knatternden Motor über Stock und Stein fahren suggeriert ein Gefühl von Freiheit und Ungebundenheit. In der Mobilität geht es also nicht nur um rationale Überlegungen, sondern auch viel um Wünsche, Begierden und Vorstellungen von Unabhängigkeit und Freiheit. (Mehr zum Lohner-Porsche im Objektstory-Podcast)

Wie wird das Thema E-Mobilität noch im TMW aufgegriffen?
Wir zeigen eine Vielfalt an unterschiedlichen Objekten zur E-Mobilität – historisch wie aktuell. Ganz neu ist zum Beispiel ein Formel-E-Showcar, das in der Mittelhalle zu bewundern ist. Auch darauf gibt es unterschiedliche Perspektiven: Einerseits gibt es Stimmen, die die Investitionen in Forschung & Entwicklung in Elektromobilität rühmen, andere vermuten dahinter Greenwashing, denn der Rennzirkus ist per se nicht nachhaltig. Uns geht es im Technischen Museum Wien darum, Denkanstöße und Perspektiven für eine nachhaltige Verkehrspolitik zu liefern, das betrifft nicht nur E-Mobilität, sondern auch öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad oder auch Sharing-Angebote für Rad, Automobil und E-Roller, die durch die Digitalisierung möglich wurden. Das Thema Nachhaltigkeit ist uns auch im operativen Betrieb wichtig – auch unser eigener Fuhrpark und das Science Mobil, das ab Herbst das Museum in die Bundesländer bringt, haben Elektroantrieb.

Sie legen im Technischen Museum auch viel Wert auf Interaktivität – wie sieht das aus?
Die Mobilitätsausstellung hat einen interaktiven Teil, der gleich im untersten Stockwerk zu finden ist: die Mitmachausstellung „In Bewegung“. Sie fokussiert auf interaktive Stationen und ermöglicht es, sich in die Mobilität anderer Verkehrsteilnehmer/innen hineinzuversetzen. Zum Beispiel beim Thema Geschwindigkeit: In einer Speedbox kann man mittels 3-D-Brille erleben, wie schnell man mit verschiedenen Fahrzeugen unterwegs ist – und wie viel man je nach Geschwindigkeit von der Umgebung noch wahrnimmt. Im Rollstuhlsimulator kann man virtuell über Hindernisse rollen – das erfordert Geschicklichkeit und Kraft. Und es gibt auch eine sehr beliebte Rutsche, die anzeigt, wie schnell man durch die Röhre gerutscht ist.

Auch für die Zeit nach dem Museumsbesuch haben Sie sich für Pädagog/innen und Kinder etwas überlegt ...
Für Pädagog/innen, Kindergarten- und Schulkinder bieten wir online Experimente zum Download an. Dazu gibt es neu Experimente zum Thema Straßenverkehr. Man kann zum Beispiel mit einem Eier-Airbag aus verschiedenen Materialien experimentieren. Oder herausfinden, welche Materialien in der Dunkelheit das Licht besser oder schlechter reflektieren – was für die Sicherheit im Straßenverkehr wichtig ist. Das soll für die Kinder auch eine Anregung sein, selbst weiter zu experimentieren, sondern auch dazu beitragen notwendige Sicherheitsaspekte im Straßenverkehr besser zu verstehen.

Zur Person

Mag. Franziska Mühlbacher ist als Leiterin der Wissensvermittlung im Technischen Museum Wien tätig.