Der sichere Schulweg als Ausgangspunkt für mehr Bewegung

Bewegungsexperte Clemens Drenowatz wünscht sich eine tägliche Sportstunde in der Schule.

Zur Person

MMag. Dr. PD Clemens Drenowatz ist Professor an der PH Oberösterreich, Fachbereich „Sport, Bewegung und Gesundheit“. Er forscht zum Thema Einfluss von Bewegung auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

Herr Drenowatz, bewegen sich Kinder und Jugendliche ausreichend?
Clemens Drenowatz: Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen macht das nicht, nur rund 20 % bewegen sich ausreichend. Im  Zuge der Veränderungen im Bewegungsverhalten ist es im Lauf der vergangenen Jahrzehnte zu einer Veränderung in der Fitness und der motorischen Kompetenz bei jungen Menschen gekommen. Ein Grund dafür ist die Urbanisierung – mehr Personen und somit auch mehr Kinder und Jugendliche leben in Städten. Dort sind die Bewegungsmöglichkeiten oft eingeschränkter. Dementsprechend bewegen sich Kinder und Jugendliche auch weniger.

Wie hat sich der Bewegungsbedarf im Lauf der Zeit verändert?
Früher gab es mehr Bedarf, sich zu bewegen. Zum Beispiel, um von A nach B zu kommen. Aber weiter gedacht gehören da auch Arbeiten im Haushalt oder im Garten dazu. Durch die Technologisierung ist heutzutage vieles einfacher – das beginnt bei Waschmaschinen und Geschirrspülern und geht bis hin zur Gartenarbeit, wo man heute viele technische Hilfsmittel zur Verfügung hat, die einem vieles abnehmen. Ein Beispiel dafür sind die Rasenmäherroboter.

Aus welchen Gründen hat sich das Bewegungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen verändert?
Das hat unter anderem mit der Sicherheit zu tun. Früher hat man es den Kindern zugestanden, sich frei draußen zu bewegen. Das hat sich dahingehend verändert, dass bei Eltern heute oft das Sicherheitsgefühl dafür nicht mehr vorhanden ist. Bewegung findet heute oft organisiert statt, zum Beispiel im Sportverein oder am Spielplatz.  
Auch Handys und Spielkonsolen spielen in Bezug auf zu wenig Bewegung eine Rolle. Ich habe heute sehr viel mehr Möglichkeiten, inaktiv zu sein. Der Bildschirm ist heutzutage allgegenwärtig. Das war vor 20 Jahren noch nicht in diesem Ausmaß gegeben und es gab  daher, vielleicht, weniger Alternativen zum aktiven Spielen.

Was passiert, wenn sich Kinder und Jugendliche zu wenig bewegen? Welche Auswirkungen hat das auf das spätere Leben?
Es gibt eine Vielzahl von gesundheitlichen Auswirkungen. Bewegung wirkt ja sehr vielfältig auf die Gesundheit. Bewegungsmangel kann zu Herz-Kreislaufproblemen oder  Stoffwechselproblemen wie Diabetes Typ 2 führen. Auch psychisch hat wenig Bewegung negative Auswirkungen. Man weiß ja, dass Bewegung auch bei den Covid-Maßnahmen vielen geholfen hat, psychisch besser durch diese schwierige Zeit zu kommen. Menschen, die sich ausreichend bewegen, sind zum Beispiel weniger von Depressionen betroffen. Vor allem bei Kindern wirkt Bewegung auch positiv auf die Entwicklung der Knochendichte und allgemein hilft Bewegung beim Gewichtsmanagement.

Welche motorischen Kompetenzen gehen vielleicht immer mehr verloren?
Die Ausdauerleistung ist generell sehr zurückgegangen, das ist aber schon mit Ende der 1980er-Jahre der Fall. Auch in Sachen Kraft ist ein Rückgang zu bemerken. 

Gibt es Empfehlungen, wie viel/wie oft sich Kinder und Jugendliche körperlich betätigen sollten?
Ja, die gibt es. Bei Kindern und Jugendlichen empfiehlt man mindestens eine Stunde pro Tag mit mittlerer bis hoher Intensität. Das bedeutet nicht, dass Kinder zwangsläufig in einem Sportverein sein müssen. Mittlere Intensität bedeutet, dass man etwas schwerer atmet und leicht ins Schwitzen kommt. Das kann man durch freies Spiel genauso erreichen wie durch organisierte sportliche Tätigkeiten. Es muss auch nicht am Stück sein, sondern kann in kleineren Einheiten über den Tag verteilt werden.

Wie kann man Bewegung und Fitness bei Kindern und Jugendlichen fördern?
Ein Ansatz ist, Bewegung mehr in den Alltag zu integrieren, zum Beispiel durch den aktiven Schulweg. Also wenn möglich zu Fuß oder mit dem Rad in die Schule zu kommen. Das hat natürlich mit der Entfernung zur Schule zu tun. Aber man muss ja zum Beispiel nicht mit dem Bus bis vor die Schule fahren, sondern kann auch eine oder zwei Stationen früher aussteigen, um mehr Bewegung in den Alltag zu bringen.

Der aktive Schulweg kann somit ein Ausgangspunkt für mehr Bewegung sein?
Ja, er sorgt für bis zu 12-17 Minuten zusätzliche Bewegung. Das kann im besten Fall zu einer Lebenseinstellung werden und Strecken unter einem Kilometer oder zwischen zwei bis fünf Kilometern werden auch im späteren Leben zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt.
Weitere Ansätze zur Bewegungsförderungen sind Projekte wie „Schrittzähler in der Klasse“ oder „Kilometerkaiser“. Dabei wird jeweils das Bewegungsverhalten über einen längeren Zeitraum (z.B. eine Woche) erhoben. Beim Schrittzähler kann in der Folge von den Kindern selbst geprüft werden ob und wie häufig sie die aktuelle Empfehlung von 12.000 Schritten oder mehr pro Tag erreichen. Beim Kilometerkaiser bestimmt man, welches Kind die größte Strecke zu Fuß zurückgelegt hat.

Ganz wichtig ist Ihnen auch der Schulsport.
Dabei geht es mir darum, Grundfähigkeiten zu fördern, die es einem Kind erlauben, an verschiedenen Sportarten teilzunehmen. Wenn ein Kind nicht gut fangen und werfen kann, wird es auch in der Freizeit nicht mit einem Ball spielen. Auch grundlegende motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten wie laufen, auf einem Bein springen, das Orientieren im Raum bzw. auf einem Spielfeld und das Erkennen von Hindernissen sind wesentlich für eine erfolgreiche Teilnahme an verschiedenen sportlichen Aktivitäten.

Welche Maßnahmen würden Sie bezüglich Schulsport am liebsten sofort einführen?
Ich würde mir eine tägliche Sportstunde in der Schule wünschen. Dazu braucht es allerdings zeitliche und räumliche Ressourcen und entsprechend ausgebildete Lehrpersonen, die solche Sportstunden auch gut gestalten können. Man muss aber auch die Eltern ins Boot holen und immer wieder zur Bewegung mit den Kindern motivieren – und auch deutlich aufzeigen, welche Nachteile Bewegungsmangel nach sich zieht.

Welchen Stellenwert hat Bewegung in Ihrem persönlichen Leben?
Naturgemäß einen sehr hohen Stellenwert. Ich versuche, mit gutem Vorbild voran zu gehen, wobei mir das nicht besonders schwer fällt, weil ich mich sehr gerne bewege. Ich mache zum Beispiel bei Triathlon-Bewerben mit und lege im Alltag viele Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück.

Zur Person

MMag. Dr. PD Clemens Drenowatz ist Professor an der PH Oberösterreich, Fachbereich „Sport, Bewegung und Gesundheit“. Er forscht zum Thema Einfluss von Bewegung auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.