„Zeigen, wie es nicht geht“

Das Projekt „Close To“ bringt junge Unfalllenker an Fahrschulen und Schulen. Dort erzählen sie ihre Geschichten: Warum sie sich unter Alkoholeinfluss ans Steuer gesetzt haben und wie sie damit umgehen, schwere Verletzungen oder sogar den Tod anderer Menschen verursacht zu haben. Warum das Projekt so wichtig ist und bei den jungen Zuhörern so gut ankommt, erzählt Projektmanager Mario Brnic im Interview.

Zur Person

Mario Brnic von der VISION5 OG  ist Leiter des Projekts „Close to – Risikoprävention für Fahranfänger“. Er war Projektmanager bei der FGM und betreut das Projekt nun im Rahmen von VISION5 in gleichem Ausmaß.

VISION5 OG
Gartengasse 11
A-8010 Graz
Tel.:  0699 18 10 43 41
Mail: brnic@vision5.at

Herr Brnic, was ist die Idee hinter Close To?
Mario Brnic: „Close To“ gibt es in Österreich seit 2005. Zu Beginn war es ein EU-Projekt, das in zwölf Ländern durchgeführt wurde. Die Idee: junge Menschen zu resozialisieren, die straffällig wurden, weil sie betrunken am Steuer Unfälle verursacht haben. Und zwar, indem sie in Fahrschulen über ihre Unfallerlebnisse sprechen. Das ist so gut angekommen, dass die FGM – die Forschungsgesellschaft Mobilität – dieses Projekt ab 2008 weitergeführt hat. Seitdem sind wir in ganz Österreich in Fahrschulen, Schulen, in Unternehmen mit Lehrlingsausbildung und beim Österreichischen Bundesheer im Einsatz.

Sind es ausschließlich Alkolenker, die ihre Geschichten erzählen?
Nein, wir haben das auch auf Drogenkonsum am Steuer und Ablenkung ausgeweitet. Generell kann man sagen: Wenn es zu einem Unfall gekommen ist und es wurden dabei Menschen verletzt, kannst du bei Close To teilnehmen, deine Geschichte erzählen und anderen Fahranfängern zeigen, wie es nicht geht.

Wie kommen die Unfalllenker zu Close To?
Sie werden den von Gerichten an Close To vermittelt. Von uns bekommen die Unfalllenker einen umfangreichen Fragebogen zugeschickt und besuchen dann einen vierstündigen Kurs. Dabei sehen wir, wie der jeweilige Mensch drauf ist, wie er tickt. Und bis jetzt haben wir noch niemanden dabei gehabt, den wir nicht einsetzen konnten. Manche suchen zu Beginn noch einen Teil ihrer Schuld woanders – Glatteis oder unübersichtliche Straßenverhältnisse – aber die Einsicht, dass sie selbst für ihre Unfallfahrt verantwortlich waren, kommt dann doch immer.

Ist jeder Unfalllenker sofort bereit, seine Geschichte zu erzählen?
Viele Unfalllenker können sich am Anfang nicht vorstellen, vor Publikum zu sprechen. Nach der ersten Einheit kommen dann aber oft Statements wie „Das hat mir echt gut getan!“ oder „Die Fahrschüler waren interessiert an meiner Geschichte“. Es gehört auf jeden Fall viel dazu, sich vor ein Publikum zu stellen und zu sagen „Schauts her, ich war der Depp, mir ist das passiert.“ Aber so hat man einen komplett anderen Zugang zu den jungen Menschen, als wenn man Meldungen von Alkoholunfällen nur in der Zeitung liest. Bei den Jugendlichen bleibt als Erkenntnis, dass ihnen so etwas auch passieren hätte können.

Wie läuft so ein Vortrag ab?
Der Unfalllenker kommt gemeinsam mit einem Coach zum Beispiel an eine Fahrschule. Dort berichtet der Coach zuerst einmal über unser Projekt: wer wir sind, was wir tun. Dann erzählt der Unfalllenker seine Unfallgeschichte. Danach ist noch Zeit für Fragen und Diskussion.

Welche Erlebnisse werden bei den Vorträgen zum Beispiel angesprochen?
Da ist wirklich alles dabei. Eine ganz tragische Geschichte ist die, bei der zwei Brüder einen Unfall hatten. Einer hatte sich mit seiner Freundin gestritten und hat gemeinsam mit seinem Bruder den Frust im Alkohol ertränkt. Am Nachhauseweg sind sie von der Straße abgekommen und einer der Brüder ist dabei ums Leben gekommen. Bei einem anderen Fall sind zwei Nachbarsburschen aus befreundeten Familien zusammen unterwegs gewesen. Auch hier kam es durch Alkoholeinfluss zu einem Unfall, bei dem einer der beiden gestorben ist. Die Familie des überlebenden jungen Mannes wurde danach im Dorf angefeindet, sie mussten sogar ihr Haus verkaufen und wegziehen.

Wie sind die Reaktionen auf diese Unfallgeschichten?
Die Fragen der Zuhörer im Anschluss sind meistens: Wie hast du das alles verkraften und verarbeiten können? Wie hoch war die Strafe? Wie ist es im Gefängnis? Wie hast du die Geldstrafe bezahlen können? Wie ist das, wenn man am Tag nach dem Unfall aufwacht? Wie war es danach ohne Führerschein? Die jungen Leute sind aufrichtig interessiert und es kommen nie irgendwelche blöden Fragen oder Anschuldigungen.

Wie sind Sie eigentlich zu „Close To“ gekommen?
Ich habe 2006 selbst als Führerscheinneuling alkoholisiert einen Verkehrsunfall verursacht. Dabei wurde ich selbst schwer verletzt und meine zwei Mitfahrer ebenfalls. Dafür bin ich zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt worden. Im Gefängnis hat mich dann ein Mitarbeiter von Close To angesprochen. Ich war sofort begeistert von dem Projekt und habe noch während meiner Haftzeit vier Vorträge gehalten – wie im Film, aus dem Gefängnis ins Auto, Vortrag in der Fahrschule und wieder zurück hinter Gittern. Nach meiner Haft habe ich freiwillig bei Close To mitgearbeitet. Schließlich habe ich als Bürokaufmann bei der Forschungsgesellschaft Mobilität begonnen und dort nebenbei weiterhin Close To gemacht. Inzwischen macht Close To rund 20 % meiner Arbeitstätigkeit aus.  

Warum kommt Close To Ihrer Meinung nach so gut an?
Weil wir nicht mit erhobenem Zeigefinger vorne stehen und trockene Fakten wiedergeben. Wir zeigen an echten Beispielen: Das alles kann passieren, bitte passt auf. Uns ist das passiert und wir wünschen keinem Menschen, dass ihm das auch passiert. Und das kommt bei den Jugendlichen auch wirklich an. Das merkt man an der ersten Stille nach dem Vortrag. Da sieht man an den Gesichtern der Zuhörer, wie sie das Gehörte gerade verarbeiten. Und sobald dann die erste Frage gestellt wurde, geht es wie ein Wasserfall mit Fragen weiter.  

Was sind für Sie persönlich die Momente, bei denen Sie merken, dass Close To Menschen nachhaltig beeindruckt hat?
Wir bekommen natürlich viele Rückmeldungen. Ich bin zum Beispiel einmal beim Einkaufen im Supermarkt von einem jungen Mann angesprochen worden: „Servus Mario, du kennst mich nicht, aber du hast bei uns einen Vortrag gehalten und der war so super!” – solche Erlebnisse stärken und zeigen, dass unsere Arbeit wichtig ist und gut ankommt.

Zur Person

Mario Brnic von der VISION5 OG  ist Leiter des Projekts „Close to – Risikoprävention für Fahranfänger“. Er war Projektmanager bei der FGM und betreut das Projekt nun im Rahmen von VISION5 in gleichem Ausmaß.

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A-8010 Graz
Tel.:  0699 18 10 43 41
Mail: brnic@vision5.at